Nachruf Rainer Golembiewski
Mit 16 Jahren begann Rainer Golembiewski eine Ausbildung als Buchdrucker und ist als Auszubildender in die Gewerkschaft IG Druck und Papier eingetreten. Die 68er-Bewegung schwappte in die Arbeiterjugendbewegung über und ergriff auch ihn. Er wurde aktiv in Aktionen zur Verbesserung der Berufsausbildung, gegen den verbrecherischen Krieg der USA in Vietnam und viele weitere. Mitte der 70er fing Rainer an zu fotografieren. Nachdem er mit Kolleg*innen feststellen musste, dass die bürgerlichen Zeitungen nicht immer objektiv berichteten, nahmen sie die Dokumentation ihrer Aktionen in die eigene Hand.
Am meisten haben ihn als junger Fotograf die Bilder von August Sander, Gisle Freund und die Sozialfotografie der „Farm Security Administration“ der USA der 30er Jahre beeindruckt. Das Buch von Gisele Freund „Photographie und Gesellschaft“ wurde für ihn zu einem wichtigen Schlüsselwerk. 1975 legte er sich ein eigenes Schwarzweißlabor zu, um seine Filme selbst zu entwickeln. Einige Jahre später schloss er sich den Arbeiterfotografen an. Im Jahr 1980 machte er mit seiner ersten Fotoausstellung zur Shell-Jugendstudie auf sich aufmerksam. Kurz darauf folgte mit dem Bilderlesebuch „Fangt an zu leben und zu lieben!“ eine Buchveröffentlichung, dazu in Offenbach ein Menetekel und Aktion gemeinsam mit Günter Burkart und Christina Nagel-Woitalla, sowie Texten von Hans Christian Kirsch. 1983 folgte die Ausstellung „Wohnen und Leben in Offenbach!“ im DGB-Haus Offenbach.
1984, im Druckerstreik der IG DruPa stand er in Offenbach mit an vorderster Front. Bei einer Streikkette wurde er von einem Streikbrecher angefahren und verletzt. Das bestärkte ihn noch mehr, für die Rechte der Arbeitnehmer einzutreten. Mit dem Schmerzensgeld, das ein Gericht ihm zusprach, investierte er in eine hochwertige Fotoausrüstung. Von nun an wurde die Kamera für ihn zu seiner Waffe im Kampf um Arbeitnehmerrechte und gegen soziale Ungerechtigkeit. Zahlreiche Fotos von ihm wurden in Gewerkschaftszeitungen und anderen Publikationen veröffentlicht.
2001 folgte dann die zweite Buchveröffentlichung, das Bilder-Lese-Buch „Ich bekenne: Ich habe mich gewehrt!“, erlebte Geschichte in Offenbach, mit Illustrationen von Ursula Zepter. Als Retrospektive des Druckerstreiks von 1984 zeigte er im Jahr 2002 die Ausstellung “Streik und Aussperrung 1984” in den Räumen von ver.di Offenbach.
2010 ging er in Rente, etwa zu dem Zeitpunkt, als die Fotografie immer mehr digital wurde. Sein fotografisches Spektrum erweiterte sich. Plötzlich hatte er Zeit, die Dinge längere Zeit zu beobachten. Er begann, mit dem Licht zu experimentieren und Ultraweitwinkel und hochlichtstarke Objektive einzusetzen. Gegenlichtaufnahmen faszinierten ihn. Er wurde zum intensiven Beobachter der sozialen und wirtschaftlichen Veränderung seiner Heimatstadt Offenbach. Eine Industriefirma nach der anderen wurde geschlossen. Fast täglich war er mit seinem Fahrrad unterwegs, um die Veränderungen der Stadt zu dokumentieren. Die Dokumentation der Umgestaltung des ehemaligen Offenbacher Hafens wurde ein wichtiges Projekt für ihn.
Die Fotografie ließ ihn sein ganzes Leben nicht mehr los. Im Jahr 2015 wurde er Mitglied im Offenbacher Kunstverein, wenig später im Verein Fototeam Hessen e.V. Er zeigte die Ausstellung „Der Hafen und Anderes“ in der Cafébar am Wilhelmsplatz. Im Jahr darauf folgte die Ausstellung “Streetfotografie Offenbach” in der Akademie für interdisziplinäre Prozesse Offenbach und der Lyrik-Kalender mit Safiye Can und der Offenbacher Stadtzeitung Mut&Liebe.
Es schmerzte ihn, dass seine Erkrankung zunehmend seinen Eifer bremste. Dennoch machte er unermüdlich weiter, fotografierte und präsentierte weitere Ausstellunger, so die “Offenbacher Augenblicke” im Jahr 2017 in der Cafébar am Wilhelmsplatz und die „Kunstansichten Offenbach“ im Boxclub Offenbach. Seine letzte Ausstellung war im selben Jahr im Café Hermann mit Fotoarbeiten aus den Vorjahren.
2021 veröffentlichte er nochmals eine Dokumentation der vergangenen zehn Jahre „Augen in der Großstadt“, Sozialfotografie in Offenbach. Anschließend arbeitete er an einer neuen Publikation, einem Rückblick seiner sozialdokumentarischen Fotografie über 40 Jahre, mit dem Titel „Menetekel und Aktion – Bilder aus Offenbach, eine fotografische Reise durch die Zeit“. Diese Arbeit konnte er nicht mehr abschließen.
Am 20. Oktober 2022 schloss Rainer für immer seine Augen. Wir werden ihn als Mensch und als Fotograf, der 50 Jahre die gewerkschaftlichen Kämpfe ebenso wie den sozialen und wirtschaftlichen Umwandlungsprozess von Offenbach mit seiner Kamera begleitet hat, in würdiger Erinnerung behalten.
Die Trauerfeier findet statt am Montag, dem 12. Dezember 2022 um 19:00 Uhr im Gärtnerhäuschen der Naturfreunde Offenbach am Leonhard-Eißnert-Park, Bieberer Straße 276, 63071 Offenbach, nähe Kickers-Stadion gegenüber der JET-Tankstelle.