Junge Ärzte braucht das Land

Heft 1 der Reihe “SOZIALFOTOGRAFIE HEUTE”

Eine Sozialreportage von Ralf Spiegel | Stand: 07/2020

Das Projekt „Landpartie 2.0“

Studierende der Goethe-Universität Frankfurt schnuppern Landluft

Immer mehr Arztpraxen im ländlichen Raum schließen, da der Nachwuchs fehlt. Insbesondere für ältere Menschen und chronisch Kranke stellt dies ein großes Problem dar. Doch nicht nur für diese Personen ist eine derartige Entwicklung besorgniserregend. Dadurch dass die Lebensqualität außerhalb der Großstädte abnimmt, zieht es insbesondere junge Menschen vermehrt in die Metropolen. Also dorthin, wo sich genügend Einkaufsmöglichkeiten, gute Bildungs- und Betreuungsangebote sowie kulturelle Vielfalt befinden.

Die zwangsläufige Folge ist, dass die dörflichen Regionen weiter „ausbluten“ und zusätzlich an Attraktivität als Wohn- und Lebensraum verlieren. Sollte der entsprechende Teufelskreis nicht aufgehalten werden, wird dieser Zustand langfristig zu gesellschaftlichen Problemen führen und sogar unserer Demokratie schaden. Denn wenn ganze Regionen mit schrumpfender Bevölkerung und schlechten Lebensbedingungen zurückbleiben, ist dies ein Nährboden für ökonomische und politische Polarisierung.

Hinzu kommt, dass die Wohnraumverdichtung in den Großstädten bereits jetzt vielfach an ihre Grenzen stößt. Durch die große Nachfrage an städtischem Wohnraum steigen die Immobilien- und Mietpreise in astronomische Dimensionen. Dadurch wird das Leben in der Stadt für immer mehr Menschen nicht mehr finanzierbar. Auch diese Tatsache birgt sozialen und gesellschaftlichen Sprengstoff.

Praxisnahe Lehrangebote für den medizinischen Nachwuchs

Nachdem diese Entwicklungen lange Zeit hingenommen und die damit verbundenen Folgen nicht sonderlich beachtet wurden, gibt es inzwischen zahlreiche Initiativen, die das Leben in den ländlichen Regionen wieder attraktiver machen wollen. Hierzu gehört auch das Projekt „Landpartie 2.0“ vom Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt. Durch praxisnahe Angebote sollen die angehenden Mediziner*innen bereits während ihres Studiums die hausärztliche Versorgung abseits der Metropolen kennen und möglichst schätzen lernen

Vorurteile gegenüber der Allgemeinmedizin abbauen

Denn immer noch gibt es bei den Nachwuchskräften zahlreiche Vorbehalte gegenüber dem allgemeinmedizinischen Bereich und einem Praxisbetrieb im ländlichen Raum. Dass die bestehenden Klischees nicht viel mit der Realität zu tun haben, vermitteln erfahrene Lehrärzt*innen aus rund 20 hessischen Landarztpraxen. Hier erleben die Studierenden in mehreren Praktika aus erster Hand, dass der Hausarztberuf in der Provinz deutlich attraktiver ist, als sein Ruf. Und dies sowohl in medizinischer als auch finanzieller Hinsicht. Gleichzeitig entwickeln sie wertvolle Kontakte zu den Praktiker*innen vor Ort. Die Praxisphasen werden zudem durch Seminare zu abwechslungsreichen Themen rund um die ambulante Versorgung ergänzt. Ein weiterer Bestandteil ist der jährliche Tagesausflug zu innovativen Modellen in der Gesundheitsversorgung.

Nach aktuellen Schätzungen fehlen bald 10.000 Hausärzte

,Durch die Teilnahme an der „Landpartie 2.0“ decken die Studierenden alle allgemeinmedizinischen Pflichtveranstaltungen ab, so dass ihnen hierdurch kein zusätzlicher Aufwand entsteht. Außerdem werden eventuell anfallende Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten von den Kooperationspartnern übernommen.

Als Initialzündung für das Projekt dienten unter anderem die Erkenntnisse des bundesweit durchgeführten „Berufsmonitorings 2014“. Eine standortbezogene Auswertung ergab damals, dass sich in Frankfurt 41 Prozent der befragten Studierenden für eine spätere Tätigkeit in der Allgemeinmedizin interessieren. Dieses Interesse möchte die Goethe-Universität Frankfurt gezielt und kontinuierlich fördern. Dass solche Förderprogramme sinnvoll und erforderlich sind, zeigen die aktuellen Zahlen und Schätzungen der Experten zur Zukunft der hausärztlichen Versorgung. Rund 2.600 Hausarztpraxen stehen bereits in ganz Deutschland leer. Alleine in Hessen sind laut der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) derzeit rund 300 Hausarztstellen unbesetzt. Nach deren Schätzung werden im Jahr 2030 rund 10.000 Hausärzte in Deutschland fehlen. Wenn im ländlichen Raum eine Praxis schließt, können hiervon bis zu 4.000 Menschen betroffen sein.

Das Programm der „Landpartie 2.0“ wurde gemeinsam von Studierenden, erfahrenen Lehrärztinnen und Lehrärzten sowie dem Institut für Allgemeinmedizin entwickelt.

Die gesamte Sozialreportage – mit weiterführenden Informationen und Interviews mit Projektbeteiligten – können Sie sich hier herunterladen:

Die Broschüre ist außerdem gegen Zusendung der Portokosten (Fototeam Hessen e.V., Jahnstraße 3, 63526 Erlensee) erhältlich. Die Kosten für 1-3 Exemplare betragen 2,00 Euro. Wenn Interesse an mehr Exemplaren besteht, bitte eine Anfrage an „sozialfotografieheute@fototeam-hessen.de“ richten.


Die Landpartie 2.0 im Überblick

Arztpraxis geschlossen

10.000 Hausärzte fehlen

2.600 Hausarztpraxen stehen in Deutschland leer. Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2030 rund 10.000 Hausärzte fehlen. Hiervon sind insbesondere die ländlichen Regionen betroffen.

Michael Ziegler

Den Nachwuchs begeistern

Michael Ziegler ist seit 34 Jahren als Landarzt in Ehrenberg (Hessen) tätig. Als Lehrarzt möchte er Vorurteilen bei den Studierenden gegenüber der Allgemeinmedizin entgegentreten und den medizinischen Nachwuchs für seinen Beruf begeistern.

Frau mit Rollator und Mickey-Maus-Tasche

Angst vor der Zukunft

Wenn eine Landarztpraxis schließt, kann dies bis zu 4.000 Menschen betreffen. Die nächste Praxis ist meist weit entfernt und kann in der Regel keine zusätzlichen Patienten aufnehmen. Ein Problem, insbesondere für ältere Personen und chronisch Kranke.

Tabea Bender im Hörsaal

Studierende auf Landgang

Tabea Bender absolviert seit fünf Jahren ihr Medizinstudium an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Sie ist eine von 62 Studierenden, die seit Beginn des Projektes an der „Landpartie 2.0“ teilnehmen.

Tabea Bender vor der Frankfurter Skyline

Leben in der Metropole

Die meisten Nachwuchsmediziner bevorzugen das Leben in der Großstadt. Auch Tabea Bender schätzt die hohe Lebensqualität direkt vor der Haustür: Soziale Kontakte, vielfältige Einkaufs-möglichkeiten und kurze Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad.

Michael Ziegler und Tabea Bender in der Arztpraxis

Begeisterung geweckt

Tabea Bender hat ihr viertes Praktikum in einer Landarztpraxis abgeschlossen. Ihre Skepsis gegenüber der Allgemeinmedizin ist verschwunden. Das vielseitige Arbeitsgebiet sowie der enge Kontakt zu den Patienten haben sie nachhaltig beeindruckt.

Dr. med. Florian Kircher mit dem Huhn Hermine

Landarzt mit Leib und Seele

Dr. med. Florian Kircher ist ein junger Landarzt mit Leib und Seele. Er war sechs Jahre als Assistenzarzt an einer Uniklinik tätig. Seit rund neun Jahren hat er seine eigene Hausarztpraxis in Gersfeld (Hessen) und ist mit dieser Entscheidung rundum zufrieden.

Texte & Fotos: Ralf Spiegel | www.spiegelbilder.org
Mehr Informationen zur „Landpartie 2.0“ gibt es auf der
Homepage des Instituts für Allgemeinmedizin

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